Montag, 30. Dezember 2013

Zwischen den Palästen (Kairoer Trilogie) - Nagib Machfus

Zwischen den Palästen ist der erste Teil der Kairoer Trilogie. Die Geschichte erzählt das Leben einer ägyptischen Kaufmannsfamilie in Kairo. Die Trilogie wird gerne mit den Buddenbrooks verglichen. Ich kann dazu nicht viel sagen, da ich die Buddenbrooks nicht gelesen habe. Es soll mehrere Jahrzehnte umfassen. Ich habe bisher nur den ersten Teil gelesen, deswegen kann ich dazu noch nicht soviel sagen. Die Geschichte beginnt irgendwann um die Zeit des ersten Weltkriegs. Das erste Kapitel beginnt mit den Gedanken Amina's der Frau des Kaufmann's, des Herrn Abd al-Gawwad. Amina hat 4 Kinder, 2 Söhne und 2 Töchter. Fahmi der Jura studiert, ist der älteste, Kamal müsste um die 8 Jahre alt sein und ist der jüngste. Er geht noch zur Schule. Und die Töchter Aischa und Chadiga. Wobei Aischa die jüngere und hübschere ist, wogegen Chadiga die Ältere und  die weniger gut aussehende ist. Sie hat die große Nase von ihrem Vater geerbt. Das führt unter anderem dazu, dass vorallem die jüngere Heiratsanträge bekommt. Außerdem wohnt noch der älteste Sohn des Hausherrn, Jasin, aus der ersten Ehe des Herrn al-Gawwad, mit im Haus. Er ist Sekretär, arbeitet bereits und gilt damit als erwachsen. Er hat den Kontakt zu seiner Mutter abgebrochen, nachdem sie einen anderen Mann geheiratet hat.



Dieser Roman hat mir enorm gut gefallen. Die Erzählperspektive wechselt in jedem Kapitel, jedes Familienmitglied erzählt einen Teil der Geschichte seines Lebens aus seiner Sicht. Der Roman fängt an mit der Perspektive der Mutter Amina, in der Nacht und erzählt erstmal einen typischen Tag im Alltag der Familie, jeweils aus den verschiedenen Perspektiven. 

Zunächst Herr Abd al-Gawwad, der Kaufmann und Vater, ist der einzigste in der Familie, der nicht mit dem Vornamen angesprochen wird, nur eventuell noch mit Vater. Alle anderen Familienmitglieder werden mit dem Vornamen angesprochen. Er herrscht innerhalb der Familie mit eisernen Hand.

Zitat : "Der Vater, von seinen Söhnen blinden Gehorsam erwartend ..."

Die Erzählung beginnt in der Nacht beschreibt das Frühstück, zuerst frühstückt der Vater mit den Söhnen. Der Vater beschimpft seine Söhne beim Früstück, es herrscht eine Atmosphäre der Angst.

Zitat: "Dieses Beisammensein dauerte zwar nicht lange, aber die Anspannung unter der die Söhne standen, war ungeheuer groß. Es galt militärische Disziplin einzuhalten...."

weitere Zitate: "Hat der Hundesohn seine Lektionen gelernt, ..." 
"Hör gut zu, du Hundesohn... "

Im Geschäftsleben allerdings ist er ein komplett anderer Mensch, den Familie so noch nie erlebt hat.

Zitat: "Tatsächlich kannten die Leute nicht den Herrn Abd al-Gawwad der er Zuhause war, und die Familie wußte nichts von dem Herrn Abd al-Gawwad, der sich unter den Menschen bewegte."

Sobald der Vater aus dem Haus war, entspannten sich die anderen Familienmitglieder.

Zitat: "Jeder im Haus wußte nun, daß er in kurzer Zeit seine Freiheit wiedererlangen würde und ohne die geringste Gefahr sprechen, lachen, singen und sich bewegen konnte."

Das Verhalten des Vaters hat Auswirkungen auf die Söhne, vorallem sein Ältester Jasin, scheint nach ihm zu schlagen. Die erste Frau des Vaters, von der er geschieden ist will wieder heiraten. Sie ist 40 Jahre alt. Ihr Angetrauter 30. Das ist für Jasin ein großes Problem, er gönnt seiner Mutter ihr Glück nicht. 

Zitat: "Jetzt sah er sich selbst als Mann mit Verantwortung, für den es sich nicht ziemte, eine Kränkung däumchendrehend zu erdulden."

Er überwindet sich sogar und besucht seine Mutter, zu der er den Kontakt abgebrochen hat, um sie davon zu überzeugen nicht zu heiraten. Er klagt auch seinem Vater sein Leid. Nach dem Kapitel mit dieser Geschichte der Heirat der Mutter Jasin's und wie unmoralisch sie ist aus Sicht des Sohnes und Vaters, schließt sich ein Kapitel an das den Anfang der Liebesbeziehung des Herrn Abd al-Gawwad mit einer Tänzerin beschreibt. Er hat immer wieder verschiedene Beziehungen zu anderen Frauen. Auch seine grundlosen Zornausbrüche innerhalb der Familie, entschuldigt er wie folgt: 

Zitat: "Wie oft litt er darunter, sich ständig im Griff zu behalten, tolerant, freundlich, geistreich zu sein und sich die Herzen der anderen um jeden Preis erobern zu wollen. Nicht selten wurde es ihm bewusst, seinen Zorn ohne ersichtlichen Grund ausgetobt zu haben."

Zitat: "Es gab eben DInge, die er für sich in Anspruch nahm ohne sie anderen zu gestatten."

Diese Verlogenheit und Heuchelei deckt Machfus, sehr geschickt auf. Was mir vorallem gut gefallen hat, war das Machfus uns in die Köpfe der Personen blicken lässt bevor sie etwas sagen, bzw. während eines Gesprächs. Das hilft ungemein besser zu verstehen. Hier ein kleines Beispiel:

"Bestimmt war ihm klar, daß er das Richtige dachte oder zumindest vermutete, und weil es ihm unangenehm war, im Gespräch mit der Mutter etwas anderes zu sagen, als er innerlich fühlte, listig statt offen zu sein, begnügte er sich zu murmeln: "Unser Herrgott wird's schon richten."

Dieses in den Kopf und in die Gedanken- und Gefühlswelt der jeweiligen Protagonisten zu schauen, hilft zu verstehen, warum sie was, wie sagen. 

Auch politische Ereignisse erfassen die Familie, auf verschiedene Art und Weise, auch das wird in dem Roman thematisiert. Die Geschichte beginnt ja ungefähr während des 1. Weltkrieges, als Ägypten unter britischer Herrschaft stand. Die Unruhen und Streiks 1919 als Saad verbannt wurde, werden aus der Sicht der Familie und ihrer Mitglieder beschrieben, die unterschiedlich daran partizipieren und eingebunden. Der Roman endet ungefähr zu der Zeit als Saad nach Ägypten zurückkehrt und Ägypten kurz vor seiner Unabhängigkeit steht. 

Der Roman spielt zwar in Ägypten, aber die Kernprobleme in der Familie kann man zum Teil auch auf die westliche Welt übertragen. Das sind: mangelnde bzw. falsche Kommunikation, verschleiern von wahren Gefühlen (keine Offenheit) oder kleine Fehler an anderen sehen und gleichzeitig blind sein für die großen Brocken der eigenen Unzulänglichkeiten.  
Oder mit Machfus's Worten:

"Es war unvermeindlich, die Gefühle zu verheimlichen. In dieser Familie war Selbstbeherrschung, vor allem wenn es um Gefühle ging, eine tief verwurzelte Gewohnheit und eine moralische Notwengkeit, anerzogen im Schatten des väterlichen Terrors."

MIr hat das Buch enorm gut gefallen, es war ein sehr interessanter Einblick in das Leben einer ägyptischen Familie Anfang des 20. Jahrhunderts. Genial verpackt und erzählt von Machfus.
Deswegen von mir 


Meine Bewertung
A+




1 Kommentar:

  1. Oh, klingt super! Werde ich mir gleich mal als möglichen Titel bei Machfus notieren - langfristig will ich nämlich von allen Nobelpreisträgern was lesen und freue mich natürlich über jede Empfehlung. :-)

    Ich drück die Daumen, dass du auch bei den weiteren Nobelpreisträgern für die Challenge so viel Glück mit der Textauswahl hast!

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